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(Erinnerungen eines älteren TG-Mitgliedes)
Dem Wunsch einiger Sportfreunde aus der TG Camberg nachkommend, soll nachstehender Beitrag einige Erinnerungen aus längst vergangenen Zeiten aufleben lassen, nicht zuletzt um heutigen Generationen das Vereinsleben während und nach dem letzten Weltkrieg in Erinnerung zu bringen und auf die Bedeutung und den Stellenwert der heutigen Vereine für Sport- und Spiel aufmerksam zu machen. Das Vereinsleben ist und war immer ein Teil der Gesellschaft und wird stets durch sein Umfeld geprägt.
Aus lückenhaft vorhandenen Erinnerungen an bewusst erlebte letzte Kriegsjahre - etwa ab 1943 - wird deshalb an den Anfang gesetzt, was damals zum Alltag gehörte, was barbarisch und unmenschlich war, dessen Abnormalität ganze Generationen nachhaltig prägte.
Täglich gab es Fliegeralarm. Das Auf- und Abschwellen der Sirenentöne und das Brummen der Bombermotoren bedeutete nichts Gutes. Raus aus dem Bett und in den Luftschutzkeller, so ging es fast jede Nacht der letzten Kriegsjahre.
Andere Erinnerungen betreffen den Schulweg, den Weg zum Training oder zu sportlichen Veranstaltungen. Man konnte nie wissen, ob nicht im nächsten Augenblick ein Jabo (Jagdbomber) am Horizont erschien und mit seinen Bordwaffen auf alles schoss, was sich bewegte. Die Auswirkungen kann man sich vorstellen!
Unter solchen Bedingungen Sport zu treiben, war eigentlich undenkbar. Und doch, es war nicht nur denkbar sondern geradezu Pflicht.
Mit 10 Jahren wurden alle Kinder zum Jungvolk einberufen. Sportliche Leistungsvergleiche, die Mut verlangten, Heimabende mit Liedern des „Deutschen Volkstums“, Geländespiele und Zeltlager wurden angeboten und dienten dazu, Körper und Geist zu stärken. Sportliche Betätigung war Pflicht für Jedermann - Vorstufe zum Wehrdienst, darum ging es eigentlich.
Formal war der Dienst zwar freiwillig, wer aber nicht hin ging, musste damit rechnen, abends aufgegriffen und verprügelt zu werden.
Das alles hat mit unseren heutigen Vorstellungen von Sport und Spiel nun wirklich nichts mehr zu tun und ist nur noch schwer vorstellbar. Dennoch - auch das ist ein Teil unserer Sportgeschichte, der - Gott sei Dank - der Vergangenheit angehört.
Einige Frauen und Männer, die Krieg und Gefangenschaft überlebt hatten, trafen sich 1945/46 gelegentlich in kleinem Kreise und frischten Erinnerungen auf. Größere Zusammenkünfte waren in den ersten Nachkriegsjahren von der Militärregierung verboten. Bei solchen Treffen stand u.a. auch die Frage im Raum, ob sportliche Angebote wieder auf die Beine gestellt werden könnten und wie und wo man sich zum sportlichen Tun treffen könnte.
Die Turnhalle in unserer Gemeinde Sprockhövel hatte an Stelle der Fensterscheiben nur Bretterverschläge und Decke und Böden waren durch Nutzung der Halle als Lazarett völlig verkommen. Es gab aber eine Kneipe mit einem größeren Saal und einer kleinen Bühne. Hier trafen sich heimgekehrte Turner mit Kindern und Jugendlichen und zeigten uns erste Übungen an alten, noch brauchbaren Sportgeräten. Als Matten dienten Strohsäcke, die nicht immer die erhoffte Polsterung hatten. Natürlich wurde in jeder freien Stunde an der Herstellung der Turnhalle durch uns alle gearbeitet und so konnten wir bereits Ende 1946 wieder einziehen.
Damals zogen viele gute Turner früherer Zeiten durchs Land und belustigten die Bevölkerung mit akrobatischen Kunststücken am Reck und Barren, verkleidet als Clowns. Eine kleine Nebeneinnahme für arbeitslose Heimkehrer, oft mit Naturalien bezahlt, die Bauern aus dem Umfeld spendeten.
Wir trafen uns anfangs wöchentlich zweimal für jeweils 2 Stunden. Wir, das waren Jungen und Mädchen im Alter von 12 bis 16 Jahren. Turnhosen hatten unsere Mütter aus alter Bettwäsche genäht, dünn, lang bis an die Knie und nicht immer so weiß, wie es damals noch gewünscht war. Wir turnten barfuss, weil wir keine Turnschuhe hatten.
Was wir aber hatten, war ein erstklassiger Vorturner, den hoch geschätzter Oberstudienrat Elfried Leveringhaus, der später Deutsche Turnfeste und Turnweltmeisterschaften organisierte und nicht zuletzt Bundesoberturnwart mit Sitz in Frankfurt wurde, sein Spitzname: Schewy. Das war in den 60er bis 70er Jahren. Aus dieser Zeit noch ein paar Erinnerungen an unvergessene Turnstunden.
Vier hielten eine Matte hoch und wir machten die Rolle vorwärts darüber. Die Matte wurde abgesenkt und aus der Rolle wurde ein Salto. Das ging so ähnlich auch rückwärts. Am Holmende des Barrens wurde der Abgang als Kreishocke über ein Seil geübt. Wenn die Hocke hoch genug war, ging es in die Holmmitte. So auch die Kreiskehre und die Handstandwende am Barren als Abgang. Die Riesenfelge am Reck gehörte zu den größeren Herausforderungen. Die Hilfestellung mehrere Turner war erforderlich, bis die Sicherheit gegeben war. Übrigens was die Hilfestellung betraf, konnte man sich hundertprozentigh auf jeden einzelnen Turner verlassen.
Besonders in Erinnerung ist auch das gemeinsame Duschen nach dem Training geblieben. Hatten die meisten doch kein Badezimmer und natürlich keine Dusche. Danach war Volksliedersingen im Umkleideraum angesagt. Heute denke ich, dass dieses Singen noch mit der Zeit vor Kriegende zusammenhing. Welcher Grund auch immer vorlag, es war stets etwas Prickelndes dabei, wenn wir mit den Mädchen gemeinsam Volkslieder sangen. Übrigens sind mehrere Ehen daraus entstanden.
In den ersten Nachkriegsjahren fuhren wir mit einem LKW, einem Holzvergaser, zu Sportveranstaltungen. Es wurden Bänke auf die Ladefläche gebracht und alles mit einer großen Plane abgedeckt. Zu diesem Zeitpunkt war es nämlich noch verboten, in größeren Gruppen aufzutreten und Sport zu treiben. Wir sagen:
„Wir tragen blau mit weißem Kragen, hip, hip hurra, hip hip hurra,
vor keinem Gegner wir verzagen, hip, hip hurra, blau weiß ist da.“
Wenn wir bewohnte Gebiete erreichten, wurde ein Hupzeichen gegeben und der Gesang eingestellt. Auch das kann man sich wohl kaum noch vorstellen, wenn man heutzutage mit den Montagsbuben in modernen Reisebussen und Fahrradanhänger ins Elsass fährt. – Ein weiter Bogen vom Versammlungsverbot bis zum Europa ohne Grenzen!
Ein Höhepunkt der jährlichen Turnereignisse war das Harkort Bergfest. Hier kamen einmal jährlich viele hundert Turner und Leichtathleten zusammen, um im Mehrkampf den Festsieger zu ermitteln. Nach Wettkämpfen in zahlreichen Disziplinen wurde durch Ringkampf der Turnfestsieger ermittelt; eine sehr spannende Angelegenheit.
Alle die vorgeschriebene Leistungen erreicht hatten, bekamen einen Eichenlaub – Siegerkranz mit Schleife, den man auf dem Kopf trug und mit dem man stolz nach Hause kam. Wie berichtet wird, waren ähnliche Veranstaltungen auch auf dem großen Feldberg üblich.
Zu den besonderen Ereignissen gehörten die jährlichen Weihnachtsfeste mit Turnvorführungen. Hierzu wurde die schon genannte Kneipenbühne in „Börgers Saal“ hergerichtet. Es war eine Ehre für angesehene Bürger der Stadt, hierzu eingeladen zu werden, man ließ sich gerne sehen. Es war aber auch eine Ehre für die Teilnehmer auf der Bühne, zur Riege der besten Turner zu gehören.
Im Sommer gab es den traditionellen Umzug durch die Gemeinde. Fahnen zierten den Straßenrand und die verschiedenen Abteilungen marschierten mit langen weißen Hosen der Turner, schwarzen, kecken Röckchen und weißen Blusen der Turnerinnen und bunten Trikots der Ballsportler durch die Gassen. Ein Musikzug sorgte für die nötige Stimmung und spielte zum Abschluss auf der Festwiese.
Aus Gesprächen mit älteren Mitgliedern der TG Camberg und im Ehrenrat geht hervor, dass viele Parallelen in der Entwicklung der beiden genannten Vereine bestehen und die Schilderungen sinngemäß somit für viele Mitglieder zutreffen.
Mit Turnergruß „Gut Heil“, Wolfgang