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Ohrfeige, Wimmerholz und Trompete

Veröffentlichung: NNP (08.09.2023)

Herbert Schmitt hat in 65 Jahren als Musiker viel erlebt / Am Sonntag nimmt er Abschied vom Kurorchester Von Petra Hackert

BAD CAMBERG. Sein erstes Musikinstrument war das Wimmerholz - so nannte Herbert Schmitt die Geige, die ihm seine Eltern als Zehnjähriger geschenkt hatten. Auch seine fünf jüngeren Geschwister durften ein Instrument erlernen - nach dem Krieg gar nicht selbstverständlich. Dafür ist er heute noch dankbar. Das Wimmerholz hat er schon lange aus den Händen gelegt, stattdessen jahrzehntelang Trompete gespielt, als Sänger von sich hören lassen, das Camberger Vereins- und Geschäftsleben geprägt. Vieles von dem, was er heute erzählt, kann man sich kaum noch vorstellen. Herbert Schmitt hat's erlebt. Am Sonntag, 10. September 2023, kommt eine weitere besondere Erfahrung hinzu: Das Kurorchester gibt um 10:45 Uhr ein Konzert zu seinen Ehren. Leider das Abschiedskonzert, denn nach 50 Jahren als Trompeter muss der 85-jährige aus gesundheitlichen Gründen kürzertreten.

Schleeschter Boub, woss willst dau?“

Der Gesangverein 1846: 1958, gerade 20 Jahre alt und von der Ausbildung in Bamberg zurück, hatte ihn der Vorsitzende Jakob Burdy angesprochen, ob er nicht singen wolle. Herbert Schmitt war dabei. Sein Ziel, Tenor, klappte zwar nicht, aber im zweiten Bass setzte er gut an. Es folgten Konzertreisen, Erfolge und Erfahrungen. „In dieser Zeit standen wir mit 80 Sängern auf der Bühne“, erinnert sich Schmitt an einen Auftritt in Frankfurt-Schwanheim. „Ich wollte meinen Nachbarn Fischer Willi, der einen Ton zu hoch einsetzte, korrigieren und erntete eine schallende Ohrfeige auf der Bühne (...schleeschter Boub, woss willst dau?)“. Doch die meisten Erfahrungen waren gut, auch im Portionentisch des Gesangvereins („eine kreative und tolle Truppe“), gemeinsam mit den Hofsängern des CVC, bei vielen weiteren Reisen.
Die Trompete: Durch Geigen- und Gitarrenunterricht (sein erstes selbst gekauftes Instrument) war er der Einzige in seiner Realschulklasse, der Noten lesen konnte. Dann kam das Landesturnfest 1966 in Bamberg. „Beim Anblick der großen Spielmanns- und Fanfarenzüge lief es mir heiß und kalt über den Rücken. Die Turnermusiker, gekleidet im traditionellen Turnerweiß, marschierten in geordneten Reihen über die Regnitz-Brücke, Trommeln und Pfeifen wechselten sich ab beim Spiel mit der Gruppe der Fanfaren. Vor der Musikgruppe Lyra und Schellenbaum, hinten das Schlagwerk. Ich war überwältigt und beschloss: So was will ich mal in Camberg machen.“ Er kaufte sich eine Trompete, übte daheim, hörte eines Tages Fanfarenklänge aus Richtung Turnhalle. Sein erster Kontakt zum Spielmannszug der Turngemeinde.
„Eine Woche später ging ich mit meiner Trompete zur Turnhalle. In der Halle standen fünf oder sechs Buben in einer Reihe, davor ihr Übungsleiter. Sie übten einen Marsch und pressten schreiende Geräusche aus ihren Fanfaren. Im Nebenraum waren etwa zehn Buben und Mädchen, die Hälfte übten Trommel, der Rest Flöte.“ Auf die Frage, welche Noten zur Verfügung standen, „präsentierte man mir ein abgegriffenes Rechenheft mit endlosen Zahlenreihen untereinander. Es waren die Fingersätze für die Querflöte, nach denen gespielt wurde. Ich war entsetzt und versuchte, über Noten zu sprechen“, erinnert sich Herbert Schmitt. Eine Woche später ging er wieder zur Turnhalle und fand eine erwartungsfreudige Gruppe vor. „Auf die Frage, ,Wo ist denn Euer Übungsleiter?‘, lächelte mich der Sprecher der Gruppe, es war Franz Schneider aus dem Mühlweg, an: ,Der kommt nicht mehr. Du hast ihn hinausgetrieben. Jetzt musst Du die Übungsstunde leiten‘.“
Er bekam Unterstützung: Felix Hartmann sen. vom TV Würges zeigte ihm, wie die Querflöte zu spielen ist. Nach wenigen Wochen leitete er den Übungsbetrieb des Spielmannszugs. Bis 1979 war Herbert Schmitt Abteilungsleiter des TG-Musikzugs. Schon vorher war er ab und an im Kurorchester aktiv. Als Not am Mann war, stieg als Trompeter ein und blieb dem Orchester 50 Jahre treu – neben seiner Zeit als Familienvater und der Arbeit im eigenen Unternehmen, dem Schuhhaus Schmitt.
Nach 65 Berufsjahren in die Rente

Mit 65 ging er in Rente – nicht mit 65 Jahren, sondern mit 65 Berufsjahren. Das war 2019 und Herbert Schmitt 81 Jahre alt. Immer unterstützt von seiner Frau Gudrun und den beiden Söhnen Eric und Thorsten hatte er das Familienunternehmen mit teils über 20 Angestellten (das war so in den 80er und 90er-Jahren) geführt. Sohn Harald trat musikalisch in die Fußstapfen des Vaters. Nur dass er das Hobby zum Beruf machte: Er ist Domkapellmeister in Berlin.
Heute denkt Herbert Schmitt gerne an die vielen schönen Erfahrungen zurück. Sogar das, was nicht geklappt hat, lässt ihn schmunzeln. Besonders, wenn er in den Foto-Alben seines Lebens blättert. „Das sind etwa zwei Quadratmeter Wandfläche“, stellt er fest. Kerbevadder des Jahrgangs 1938 war er. Die Fotografien zeigen die Aktivitäten 1958. „Musikzug von 1957 bis 1979“ steht auf einem anderen Album. Schöne Erinnerungen, die lebendig werden, sobald er die Bilder wieder sieht.

Petra Hackert

 

Erstellt am 09.09.2023 von Redaktion